„Europa – Unsere Geschichte“ setzt als Projekt eines von Deutschen und Polen gemeinsam erarbeiteten Schulbuchs zur europäischen Geschichte einen Dialog fort, den Fachleute für Geschichte, Geographie und Geschichtsdidaktik beider Länder seit Jahrzehnten führen – vor allem im Rahmen der Gemeinsamen Deutsch-Polnischen Schulbuchkommission. Die Erarbeitung eines eigenen Konzepts für ein Schulbuch zur europäischen Geschichte, das in deutschen wie polnischen Schulen als Lehrwerk eingesetzt werden kann, stellte eine sinnvolle Weiterentwicklung dieser Arbeit dar.

„Zum ersten Mal wird Jugendlichen aus Polen und Deutschland eine identische Wissensgrundlage vermittelt. Über die Interpretationen können wir uns streiten, nunmehr aber auf Grundlage fundierter Kenntnisse. Das ist wichtig, denn es sind gerade Wissenslücken und fehlendes Einfühlungsvermögen gegenüber dem ‚Anderen‘, die zu Mißverständnissen und Konflikten führen.“

Robert Traba, Zentrum für Historische Forschung Berlin der Polnischen Akademie der Wissenschaften

Im Dezember 2007 signalisierten die Außenminister Deutschlands und Polens ihre politische Unterstützung für ein solches Projekt. Anfang 2008 einigten sich die Regierungen beider Länder über die Schaffung entsprechender organisatorischer Grundlagen. Für die politische Koordination und Förderung des Projekts wurden auf deutscher Seite das Auswärtige Amt sowie die Kultusministerien der deutschen Bundesländer, unter Federführung des Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg, verantwortlich. Auf polnischer Seite waren dies das Ministerium für Nationale Bildung, das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten und das Ministerium für Kultur und Nationales Erbe. Eine substanzielle Förderung erfuhr das Projekt auch durch die Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit. Mit der Sicherung der wissenschaftlichen Expertise an dem Projekt wurden die beiden Vorsitzenden der Gemeinsamen Deutsch-Polnischen Schulbuchkommission betraut. Die Aufgabe, die Arbeiten wissenschaftlich zu koordinieren, haben das Leibniz-Institut für Bildungsmedien | Georg-Eckert-Institut in Braunschweig und das Zentrum für Historische Forschung Berlin der Polnischen Akademie der Wissenschaften inne. Den institutionellen Rahmen der Projektgruppe bilden zwei Gremien: Ein „Steuerungsrat“ und ein „Expertenrat“. Letzterer war es, der 2010 mit seinen Empfehlungen die konzeptionellen Grundlagen für die deutsch-polnische Schulbuchreihe legte.

© Bettina Ausserhofer für GEI

Die auf vier Bände angelegte Schulbuchreihe ist ein deutsch-polnisches Gemeinschaftsprodukt in mehr als einem Sinn: Sie entsteht nicht nur in enger Zusammenarbeit zwischen den Verlagen Eduversum und Wydawnictwa Szkolne i Pedagogiczne, Autorinnen und Autoren, wissenschaftlicher Koordination sowie Expertinnen und Experten für bestimmte Epochen aus beiden Ländern. Die fertigen Materialien spiegeln vielmehr auch das Ergebnis eines langen Prozesses der Diskussion darüber wider, wie eine Perspektive in einem Schulbuch zur Geltung gebracht werden kann, die für unterschiedliche Sichtweisen, Interpretationen und geschichtsdidaktische Zugriffe bei der Darstellung der Vergangenheit sensibilisiert.

„Dieses innovative Geschichtsbuch ist viel mehr als eine historische Betrachtung Europas: Es spiegelt auch das Ergebnis eines langen Prozesses der Diskussion darüber wieder, wie verschiedene Perspektiven, Interpretationen sowie didaktische Zugriffe in einem gemeinsamen Schulbuch zur Geltung gebracht werden können.“Günter Baaske, Minister für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg

Das Projekt ist damit von hoher bildungs- und wissenschaftspolitischer Bedeutung für die deutsch-polnischen Beziehungen. Beide Seiten zeigen ihre Bereitschaft, die geschichtlichen Erfahrungen des Nachbarlandes in die schulische Vermittlung von Geschichte mit einfließen zu lassen und den Wissenschaftsdialog über historische Themen vertiefen zu wollen. Nicht die Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen ist jedoch Gegenstand der Lehrwerkreihe. Vielmehr versteht diese sich – ganz im Geiste des gewählten Titels – als Geschichte Europas, die den Lehrplänen Deutschlands und Polens hinsichtlich Stoff und zu entwickelnden Kompetenzen entspricht.

Die Zielsetzungen weisen denn auch weit über den deutsch-polnischen Kontext hinaus und machen das Schulbuch für breite Zielgruppen interessant: Schülerinnen und Schüler sollen befähigt werden, die Geschichte ihres eigenen Landes in den europäischen Zusammenhang einzuordnen und aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten. Sie sollen auf diese Weise ein kritisch reflektierendes Geschichtsbewusstsein entwickeln, das ihnen einen konstruktiven Umgang mit der Diversität historischer Erfahrungen ermöglicht. „Europa – Unsere Geschichte“ versteht sich so als wegweisend zu einem europäischen Selbst- und Geschichtsverständnis, das der Vielfalt nationalstaatlicher Erinnerungen und Interpretationen der Geschichte in Europa nicht mit einer neuen „Meistererzählung“, sondern mit einem transnationalen Zugriff, Empathiefähigkeit und sachkundigem Dialog begegnet.

„Die Auseinandersetzung um nationale Erinnerung war und ist ein nie endender Prozess, der in vielen Teilen dieser Welt zu Konflikten geführt hat und noch immer führt. Aber das gemeinsame Gespräch über Ländergrenzen hinweg […] kann zur Aussöhnung, zur Überwindung von Differenzen innerhalb und zwischen Gesellschaften beitragen. Vor diesem Hintergrund werden dieser [erste] Band und der erfolgreiche Abschluss der gesamten Schulbuchreihe eine große internationale Wirkung haben.“ Eckhardt Fuchs, Georg-Eckert-Institut – Leibniz-Institut für internationale Schulbuchforschung